Was ist Kommunalismus?

Kommunalismus ist eine selbstbestimmte, eigenverantwortliche Organisation der Menschen zur Regelung aller sie betreffenden öffentlichen Angelegenheiten (Politik). Dabei entscheiden die Einwohner*innen einer örtlichen Gemeinschaft (Dorf, Stadtteil, Stadt) selbst über ihre Belange. Dies nicht nur in den als Kommunalpolitik bekannten Bereichen, sondern grundsätzlich über alle Dinge, die für das Zusammenleben der Menschen in ihrer örtlichen Gemeinschaft von Bedeutung sind.

Kommunalismus ist ein basisdemokratisches Politikkonzept, bei dem alle Einwohner*innen direkt und unmittelbar in die Entscheidungsfindung einbezogen werden. Zentral im Kommunalismus ist die Direkte Demokratie. Die Verwaltung aller öffentlichen Angelegenheiten wird direkt und unmittelbar durch die Einwohner*innen gestaltet und kontrolliert.

Pariser Kommune

Die ersten kommunalen Autonomiebestrebungen, die heute als kommunalistisch eingeordnet werden können, entstanden zu Beginn des Siegeszuges des Kapitalismus in Frankreich. Den Höhepunkt dieser Bewegung wurde mit der Errichtung der Pariser Kommune (18. März 1871 bis 28. Mai 1871) erreicht. Aber auch zuvor gab es in Frankreich und auch im vom Frankreich abhängigen Algerien schon verschiedene Versuche, eine vom Staat unabhängige, selbst verwaltete kommunale Gemeinschaft zu errichten. Diese Versuche, in der Regel maßgeblich von Arbeiter*innen aus sozialen und wirtschaftlichen Notlagen initiiert, gab es unter anderem in Lyon, Le Creusot, Marseille, Toulouse, Narbonne und Limoges. Alle Kommunen wurden allerdings schnell vom Militär der Zentralregierung gestürzt. Auch die weithin bekannte Pariser Kommune ereilte dieses bedauerliche Schicksal.

Murray Bookchin (1921 – 2006), ein linker amerikanischer Denker, legte in seinem Lebenswerk unter anderem auch die Grundlagen für den modernen Kommunalismus. Bookchin löst sich von den historischen kommunalistischen Bestrebungen, die im Aufbegehren der Eliten mittelalterlicher Städte gegen ihre staatliche oder religiöse Landesherrschaft entstanden, und stellt statt der Kommune als Untergliederung des Staates die Menschen in ihrer sozialen örtlichen Gemeinschaft in den Mittelpunkt. An die Stelle des Staates tritt für Bookchin die Konföderation der kommunalistischen Kommunen.

Konföderation selbst verwalteter Kommunen

Bookchins Idee einer Konföderation selbst verwalteter Kommunen, die politische Entscheidungen grundsätzlich in Einwohner*innenversammlungen treffen, ist geprägt von dem Wissen, dass die derzeitige Situation – globalisierte Wirtschaft und nationalstaatliche Politik – nicht nur auf der Ausbeutung der Arbeitnehmer*innen sondern auch auf der Ausbeutung der Ressourcen unseres Planeten beruht.

Aber nicht nur Bookchin entdeckte, dass die Teilhabe der Menschen vor Ort und selbstbestimmt erfolgen sollte, um einerseits die Erde zu bewahren und andererseits die sozialen Ungleichheiten zu beseitigen. Aktuell gehören die Bestrebungen des insbesondere im Mittelmeerraum verbreiteten Munizipalismus, die Kämpfe der Kurd*innen in der Rojava, die Selbstermächtigung der Zapatistas in Mexiko sowie die verschiedenen auf Stadtteile orientierten Gruppen zum erweiterten Kreis dessen, was wir als modernen Kommunalismus bezeichnen.

Konkurrierende Ziele

Die „Münsterliste – bunt und international“ hat für sich vier Grundlagen (beziehungsweise Ziele) des Kommunalismus erarbeitet. Die kommunalistische Politik müsse nachhaltig, offen, sozial und basisdemokratisch sein. Hört sich einfach an, ist es aber nicht, denn alle vier Ziele konkurrieren miteinander und stehen sogar gelegentlich im offenen Widerspruch.

Die Klimakrise wird das Leben aller Menschen sowie von Flora und Fauna erheblich verändern. Die Menschen werden zusammenrücken müssen. Viele Arten sterben und werden noch aussterben. Die Diversität auf dem Planeten wird sich dem Klima anpassen.

Dieser – nur noch von wenigen Menschen bezweifelte – Klimawandel ist die determinierende Grundlage für die zukünftige Organisation des menschlichen Zusammenlebens auf der Erde. Unser Umgang mit den natürlichen Ressourcen wird Umwelt und Natur umfassend ändern. Unbeschränktes Wachstum der Wirtschaft sowie die verbrauchsorientierte Lebensweise ist in dem von Natur aus begrenzten Lebensraum nicht möglich, ohne die Entwicklungschancen künftiger Generationen massiv zu beschneiden. Die Menschheit steht vor der gewaltigen Aufgabe, die Natur- und Umweltressourcen für die nachfolgenden Generationen zu bewahren, die Artenvielfalt zu erhalten und die Kultur- und Landschaftsräume dauerhaft zu sichern. Die Notwendigkeit zur nachhaltigen Organisation des Zusammenlebens setzt den Rahmen für die drei weiteren Ziele.

Die Offenheit in der Gesellschaft und auch in lokalen Gemeinschaften, die es leider auch nicht überall auf der Welt gibt, ist sehr bedroht. Selbst in den Städten nehmen völkische und ausgrenzende Einstellungen zu. Diese Gefahr kann mit der offenen lokalen Gemeinschaft abgewehrt werden, wenn diese allen Menschen nicht nur formale Rechte sondern auch tatsächliche Teilhabe gewährt. Nationale Grenzen sind von Menschen geschaffene Bollwerke, die andere Menschen ausschließen sollen. In einer offenen Gesellschaft darf sich jeder Mensch den Wohnort aussuchen. Dabei muss, was in vielen Nachbarschaften schon gelebte Praxis ist, der Mensch so akzeptiert werden, wie er ist.

Die kommunalistische Gemeinschaft gewährt allen Menschen in ihrer Kommune durch lebenslange materielle Leistungen und ständige Beteiligung an den Entscheidungen über alle öffentlichen Angelegenheiten die volle gleichberechtigte Teilhabe. Ein bedingungsloses von der Kommune getragenes Grundeinkommen wird vom Tag der Geburt bis zum Tod in voller Höhe gewährt. Ist ein Mensch noch nicht oder nicht mehr in der Lage, dieses Grundeinkommen, das sich aus vielen kostenfreien Leistungen (Existenzsicherung, Bildung, Gesundheitswesen, Wohnen, Mobilität, Energieversorgung, Kultur und Teilhabe am sozialen Leben) der Gemeinschaft zusammensetzt, selbst zu nutzen, verfügen die heute in der Regel nicht oder schlecht besoldeten Helfer*innen dieser Menschen über den monetären Betrag. So wird die in der Regel von Frauen geleistete Carearbeit durch die Gemeinschaft entlohnt und dem kapitalistischem Profitstreben sowie der Ausbeutung ein Riegel vorgeschoben.

Menschen unmittelbar beteiligen

In Deutschland gibt es eine hoch engagierte Zivilgesellschaft. 17 Millionen Menschen sollen ehrenamtlich aktiv sein. In vielen anderen Ländern ist ähnlich. Das Engagement umfasst punktuelle Bürgerinitiativen, Stadtteilarbeit, soziale, ökologische, gesundheitliche oder kulturelle Vereinigungen bis hin zu überörtlichen und globalen Aufgaben. Allerdings haben diese Vereine, Gruppen und Initiativen wenig Einfluss und praktisch keine politischen Entscheidungsrechte.

In einer kommunalistischen Gemeinschaft bekommen diese gesellschaftlich aktiven Menschen in ihren Vereinigungen, die natürlich transparent arbeiten sowie offen für alle interessierten Menschen sein müssen, nicht nur volle Entscheidungsrechte, sondern übernehmen auch die bislang kommunale oder staatliche Verwaltung ihres Tätigkeitsbereiches.

Das Prinzip „Kommune selbst verwalten“ funktioniert basisdemokratisch und dezentral. Entscheidungen von besonderer Bedeutung werden in den jeweiligen Stadtteilen mit allen Interessierten zum Beispiel auf den von Bookchin favorisierten Einwohner*innenversammlungen gefällt. Die aktiven Gruppen, die Verwaltungsaufgaben (zum Beispiel Stadtteilläden, Pflege und Entwicklung der öffentlichen Plätze und Parks, Sportstätten, Kinderbetreuung, kulturelle Veranstaltungseinrichtungen, Beratungs- und Hilfseinrichtungen oder auch Kleingärten) durchführen, bereiten die Entscheidungen vor, informieren die betroffenen Menschen und lassen bei allgemeinem Interesse an dem Vorgang die Menschen direkt und unmittelbar darüber debattieren und abstimmen. Statt des gewählten Rates und der indirekt gewählten Verwaltungsleitungen werden Entscheidungen, die nicht von allgemeiner Bedeutung für den Stadtteil oder das Dorf sind und von Versammlungen gefällt werden, von einem gelosten Stadtteilrat, der jedes Jahr zu einem Viertel ausgetauscht wird, entschieden. Die Abstimmungsvorlagen werden von der Verwaltung, die von den örtlichen Vereinigungen geführt werden, erarbeitet, öffentlich vorgestellt und erst dann in den Rat zur Abstimmung gegeben. Jede Entscheidung des Rates kann durch Abstimmung der Menschen des Stadtteils korrigiert werden.

In den Städten oder Stadtregionen, dazu gehören die umliegenden Gemeinden, die sich selbst als auf die Stadt bezogen erklären, führen Verbände der Stadtteilvereinigungen die für überörtliche gemeinschaftliche öffentliche Angelegenheiten zuständigen Verwaltungen. Das Entscheidungsgremium, der Rat, wird entweder wie im Dorf oder Stadtteil ausgelost oder auf Versammlungen beziehungsweise vom ausgelosten Stadtteilrat gewählt. Auf jeden Fall können sowohl die Einwohner*innenversammlung als auch das geloste lokale Entscheidungsgremium auf die nächsthöhere Ebene entsandte Vertreter*innen jederzeit abberufen. Dieses Konzept wird von der „Münsterliste“ Konkreter Kommunalismus genannt.

Literatur

Biel, Janet: Der libertäre Kommunalismus, Trotzdem Verlag, Grafenau-Döffingen 1998
Bookchin, Murray: Die nächste Revolution, Unrast Verlag, Münster 2015
Bookchin, Murray: Die Agonie der Stadt, Trotzdem Verlag, Grafenau 1996
Coers, Matthias, Nowak, Peter: Umkämpftes Wohnen, edition assemblage, Münster 2020
Dietrich, Antje: Solidarity Cities, Unrast Verlag, Münster 2019
Graeber, David: Bürokratie, Klett-Cotta 2016
Hartmann, Detlef, Wimmer, Christopher: Die Kommunen vor der Kommune 1870/71, Assoziation A, Berlin 2021
Öcalan, Abdullah: Jenseits von Staat, Macht und Gewalt, Mezopotanien Verlag, o.O. 2. Auflage 2015
Reeve, Charles: Der Wilde Sozialismus, Edition Nautilus, Hamburg 2019